Die alte Waschfrau

Melodie -

Adelbert von Chamisso

1. Du siehst geschäftig bei dem Linnen
Die Alte dort in weißem Haar,
Die rüstigste der Wäscherinnen
Im sechsundsiebenzigsten Jahr.
So hat sie stets mit sauerm Schweiß
Ihr Brot in Ehr und Zucht gegessen
Und ausgefüllt mit treuem Fleiß
Den Kreis, den Gott ihr zugemessen.

2. Sie hat in ihren jungen Tagen
Geliebt, gehofft und sich vermählt;
Sie hat des Weibes Los getragen,
Die Sorgen haben nicht gefehlt;
Sie hat den kranken Mann gepflegt,
Sie hat drei Kinder ihm geboren;
Sie hat ihn in das Grab gelegt
Und Glaub' und Hoffnung nicht verloren.

3. Da galt's, die Kinder zu ernähren;
Sie griff es an mit heiterm Mut,
Sie zog sie auf in Zucht und Ehren,
Der Fleiß, die Ordnung sind ihr Gut.
Zu suchen ihren Unterhalt
Entließ sie segnend ihre Lieben,
So stand sie nun allein und alt,
Ihr war ihr heitrer Mut geblieben.

4. Sie hat gespart und hat gesonnen
Und Flachs gekauft und nachts gewacht,
Den Flachs zu feinem Garn gesponnen,
Das Garn dem Weber hingebracht;
Der hat's gewebt zu Leinewand.
Die Schere brauchte sie, die Nadel,
Und nähte sich mit eigner Hand
Ihr Sterbehemde sonder Tadel.

5. Ihr Hemd, ihr Sterbehernd, sie schätzt es,
Verwahrt's im Schrein am Ehrenplatz;
Es ist ihr Erstes und ihr Letztes,
Ihr Kleinod, ihr ersparter Schatz.
Sie legt es an, des Herren Wort
Am Sonntag früh sich einzuprägen;
Dann legt sie's wohlgefällig fort,
Bis sie darin zur Ruh sie legen.

6. Und ich, an meinem Abend, wollte,
Ich hätte, diesem Weibe gleich,
Erfüllt, was ich erfüllen sollte
In meinen Grenzen und Bereich;
Ich wollt', ich hätte so gewußt
Am Kelch des Lebens mich zu laben,
Und könnt' am Ende gleiche Lust
An meinem Sterbehemde haben.
  1. Es hat euch anzuhören wohl behagt,
Was ich von meiner Waschfrau euch gesagt;
Ihr habt's für eine Fabel wohl gehalten?
Fürwahr, mir selbst erscheint sie fabelhaft;
Der Tod hat längst sie alle hingerafft,
Die jung zugleich gewesen mit den Alten.

2. Dies werdende Geschlecht, es kennt sie nicht
Und geht an ihr vorüber ohne Pflicht
Und ohne Lust, sich ihrer zu erbarmen.
Sie steht allein. Der Arbeit zu gewohnt,
Hat sie, solang' es ging, sich nicht geschont;
Jetzt aber, wehe der vergess'nen Armen!

3. Jetzt drückt darnieder sie der Jahre Last;
Noch emsig thätig, doch entkräftet fast
Gesteht sie ein: "So kann's nicht lange währen.
Mag's werden, wie's der liebe Gott bestimmt;
Wenn er nicht gnädig bald mich zu sich nimmt, -
Nicht schafft's die Hand mehr - muss er mich ernähren."

4. Solang' sie rüstig noch beim Waschtrog stand,
War für den Dürst'gen offen ihre Hand;
Da mochte sie nicht rechnen und nicht sparen.
Sie dachte bloß: "Ich weiß, wie Hunger thut." -
Vor eure Füsse leg' ich meinen Hut,
Sie selber ist im Betteln unerfahren.

5. Ihr Fraun und Herrn, Gott lohn' es euch zumal,
Er geb' euch dieses Weibes Jahre Zahl
Und spät dereinst ein gleiches Sterbekissen!
Denn wohl vor allem, was man Güter heißt,
Sind's diese beiden, die man billig preist:
Ein hohes Alter und ein rein Gewissen.

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