Galizien

Melodie -

Johanna Vellhorn, 1881-1968

Seltsames Land, du, Galizien!
Welch weites, welch ödes, schneeweißes Gefilde!
Kein Mensch und kein Haus,
kein Vogel, kein Ton,
nur tiefblauer Himmel und schneeweiße Wolken
und schneeweiße Erde und schüttelnder Sturm,
und ich ganz allein
im flatternden Mantel
mit stockendem Fuße ...
Klopfst du noch, Herz?
Glühst du noch, Wange?
Ja, ich bin das Leben
hier mitten im Tode der Einsamkeit,
blase nur, Sturmwind,
du bist mir Geselle,
mein treuer Begleiter,
du bringst mir ja Grüße
von dort, wo die Häuser
fern gastlich mir winken,
von dort, wo sie balde
mir hinstrecken die Hände:
"Tritt ein, sei willkommen!"

Seltsames Land, du, Galizien!
Gestern im Schneesturm und heut im Rauhnebel,
gestern zu Fuß, jetzt auf ratterndem Wagen,
morgen im Schlitten, dann in sausendem Zuge
durchquere ich dich, Land du der wechselnden Wunder! --
Ich fahr in die Stadt,
wir zahlen den Brückenzoll, schon sind wir am Marktplatz,
heruntergesprungen, die Hände geschüttelt,
"Zum Wiedersehn!" Ich schau mir die Stadt an!
Alte Gebäude auf massigen Säulen,
winzige Hütten, sich duckend daneben,
hier große Zinsbauten, dort lehmige Häuschen,
des Krieges Brandstätten, und neben der Kirche mit mächtigen Kuppeln
ein niedergebrochenes, schuttstarrendes Schloß.
Und nun, o nun, -- ich möchte am liebsten
mit offenem Munde wie gaffende Kinder
mit glasstillen Augen den Anblick verwinden,
der jetzt mir sich öffnet:
Grellblaue Mauern, doch so wie ein Himmel,
ein wolkenbesäter, dann graufarb und schwärzlich,
so kleben die Flecken am sichern Gemäuer!
Zerborstene Fenster, mit Pappe verklebte,
durchlöcherte Türen, windschief hängende Schilder,
Samuel Leib Rosenzweig, Daniel Schmul Wunderblau,
-- die Judenvorstadt ... Gott und die Welt --
Zerschlissene Decken, zerbrochene Stühle,
und Schmutz an den Wänden und Schmutz am Geschirre
und Schmutz an den Türen,
den Hühnern, Kaninchen, den Katzen und Hunden,
die gemeinsam hier hausen in Eintracht ...
Ich laufe Gefahr, hier von Sinnen zu kommen.
Hinaus, hinaus zum gebrechlichen Schlitten --
die Pferde spannt ein, fort von hier -- O! --
Seltsames Land, du, Galizien!

Seltsames Land, du, Galizien!
Blühende Dörfer so weiß und gleichmäßig,
als hätte ein spielender Engel holdlächelnd
fertig den Weiler zusammengestellt; -
elende Dörfer, wo moosüberzogen
sich das zerklüftete Mauerwerk birgt, -
Leute im Schafspelz und andre in Seide,
linnenem Kittel, knieschurzkurzem Kleide,
im Kaftan und jene im Nonnengewande,
und dort die Zigeuner barfüßig im Sande,
inmitten des Winters die Kinder in Hemden, -
und unter dem Neuen, dem unheimlich Fremden
die breitschreitend Strammen, die sogleich Vertrauten,
mit deutschhellen Augen, mit deutschhellen Lauten. -
... Seltsames Land, du, Galizien!
Hast mich mit Zaubern und Wundern umhangen -
hast mir die ganze Seele gefangen!

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